Buffett-Weggefährte Charlie Munger mit 99 gestorben: Berkshire Hathaway unter Druck (2024)

Jedes Jahr Anfang Mai pilgern Tausende Anleger nach Omaha im amerikanischen Gliedstaat Nebraska, um gebannt den Worten der Investorenlegende Warren Buffett zuzuhören. Die Generalversammlung der Investmentgesellschaft Berkshire Hathaway ist das Woodstock der weltweiten Anlegergemeinde.

Doch Buffett ist jeweils nicht allein auf der Bühne. Neben ihm sitzt stets sein Weggefährte Charlie Munger. Im Gegensatz zum diplomatischeren Buffett nimmt Munger kein Blatt vor den Mund. Seine Tiraden über Kryptowährungen, Investmentbanker oder Private-Equity-Firmen sind legendär und machen viel vom Reiz der nicht selten fünf Stunden dauernden Versammlung aus.

Nun ist Charlie Munger tot. Er ist am Dienstag in einem Krankenhaus in Kalifornien im Alter von 99 Jahren gestorben. Damit verliert Buffett nicht nur seinen engsten Mitarbeiter und Berater, Berkshire Hathaway verliert auch stark an Investmentkompetenz und Aussenwirkung.

Denn Buffett und Munger waren trotz ihrem hohen Alter bis heute dominierende Kräfte bei allen grossen Entscheidungen der Investmentgesellschaft, die an der Börse einen Wert von rund 790 Milliarden Dollar hat.

Nachfolgeregelung dringlicher

Trotz seinem Titel als stellvertretender Vorsitzender von Berkshire Hathaway war Munger weit mehr als Buffetts Stellvertreter. Er war oft die treibende Kraft hinter neuen Investmentideen und hat das Denken Buffetts massgeblich beeinflusst. «Berkshire Hathaway hätte ohne Charlies Inspiration, Weisheit und Mitwirkung nicht zu seinem heutigen Status gelangen können», sagte Buffett in einer Erklärung.

Munger hinterlässt eine grosse Lücke an der Spitze der Gesellschaft und zeigt die Dringlichkeit einer Nachfolgeregelung, zumal auch die Lebenszeit von Warren Buffett mit seinen 93 Jahren jederzeit zu Ende gehen kann.

Zwar steht mit Greg Abel ein Nachfolger bereit, der die beiden an der Spitze beerben soll. Der Leiter von Berkshires Energiebereich hat sich zwar jahrelang emporgearbeitet, doch in der Öffentlichkeit hat er nie eine Buffett oder Munger vergleichbare Statur aufbauen können.

Um diesen Umstand abzufedern, haben die beiden Abel mit einem Investmentteam ausgestattet, das sie handverlesen haben. Dieses Team entscheidet darüber, wie die Gesellschaft ihr 315 Milliarden Dollar schweres Aktienportfolio anlegt.

Doch ob Berkshire auch nach dem Tod von Buffett die Erfolgsgeschichte wird weiterschreiben können, ist ungewiss.

Nicht nur Schnäppchen

Munger hat nicht nur direkt Investmententscheide beeinflusst – er war ein passionierter Fürsprecher für den Kauf von Apple-Aktien, die mit 156 Milliarden Dollar die mit Abstand grösste Position im Portfolio sind. Sondern er hat auch die Denkweise Buffetts, der als sogenannter Value-Investor gilt, stark geprägt.

«Charlie gab mir den Anstoss, nicht nur Schnäppchen zu kaufen, wie Ben Graham es mich gelehrt hatte», sagte Buffett. Schnäppchen bei Aktien sind Titel, die besonders günstig bewertet sind und deshalb viel Aufwärtspotenzial versprechen. «Es bedurfte einer mächtigen Kraft, um mich von Grahams einschränkender Sichtweise wegzubringen. Es war die Kraft von Charlies Verstand. Er hat meinen Horizont erweitert.»

Munger brachte Buffett dazu, nicht nur in günstige Aktien, sondern auch in qualitativ hochwertige Unternehmen wie Apple zu investieren – «Qualität zu einem vernünftigen Preis» wurde für die beiden zum neuen Mantra. Die Abkehr vom «reinen» Value-Stil Ben Grahams, des Vaters des Value-Investing, trug dazu bei, dass Berkshire bis heute eine einzigartige Performance hinlegte.

Sowohl während Hausse-Perioden als auch wenn die Börsen lahmten, schaffte es Berkshire, den breiten amerikanischen Aktienmarkt deutlich zu schlagen. Seit 1983 haben die kotierten Berkshire-Hathaway-Aktien eine Rendite von rund 40000 Prozent erreicht, seit 1964 waren es 3,8 Millionen Prozent, was den Leitindex S&P 500 bei weitem überflügelt.

Munger war sich bewusst, dass er und Buffett ausserordentliches Wissen und Fähigkeiten besassen, die den meisten Anlegern nicht zugänglich waren. «Die meisten Menschen sollten wahrscheinlich nichts anderes tun als Indexfonds», sagte er gegenüber Bloomberg. Das sei eine absolut vernünftige Herangehensweise für jemanden, der nicht zu viel über das Investieren nachdenken wolle und keinen Grund habe, zu glauben, dass er besser darin sei, Einzelaktien auszusuchen.

Schicksalhaftes Treffen 1959

Munger und Buffett haben gemeinsame Wurzeln. Beide wurden in Omaha geboren, Munger im Januar 1924. Als Teenager arbeitete er im Gemischtwarenladen Buffett &Son, der Warren Buffetts Grossvater gehörte. Als Kind erlebte Munger noch die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren.

Zunächst studierte er Mathematik an der Universität Michigan, wurde dann aber eingezogen, um während des Zweiten Weltkriegs in der Armee zu dienen. Diese schickte ihn in ein Meteorologiestudium, was ihn an die Caltech nach Kalifornien führte, wo er sich auch niederliess. Schliesslich machte er nach dem Krieg einen Abschluss in Jura an der Harvard Law School.

Als gelernter Anwalt arbeitete er zunächst in einer Kanzlei in Los Angeles und gründete bald seine eigene. 1959 lernte Munger Buffett kennen, und wenig später begann Buffett, Aktien des Textilunternehmens Berkshire Hathaway zu kaufen. Munger gründete eine eigene Investmentgesellschaft, die als Wheeler, Munger &Company bekannt wurde. Ihre Performance war, wie auch jene von Buffett, herausragend.

Munger und Buffett tauschten zunächst nur Aktientipps aus, tätigten aber eigene Investitionen über ihre Firmen und unterhielten eine Art informelle Partnerschaft. Erst im Jahr 1978 trat Munger in die Führung von Berkshire Hathaway ein. Er wurde Vizepräsident der Gesellschaft, aber auch Präsident eines eigenen Konzerns: der Wesco Financial Corporation – die später durch Berkshire aufgekauft wurde.

In Pasadena in Kalifornien fand die jährliche Aktionärsversammlung von Wesco statt, gleich nach der berühmteren Jahresversammlung von Berkshire Hathaway. Mungers Versammlungen wurden in der Investorengemeinde fast so legendär wie die mit Buffett in Omaha.

Führungskräfte pilgerten regelmässig nach Pasadena, um sich anlässlich von Lunch-Treffen Tipps über das Leben und das Investieren bei Munger zu holen. Nicht nur Buffett, auch Munger brachte es zu einem beträchtlichen Vermögen, gemäss Forbes rund 2,6 Milliarden Dollar.